Angsthase

| Lesealter: ab 6 Jahre |

Angsthase, manchmal auch Angsthäschen. Wer sagt eigentlich, dass Hasen immer Angst haben? Ich finde die Bezeichnung ›Angsthase‹ höchst ungerecht. Wenn man Enten oder Spatzen zu nahe kommt, machen die auch ne Fliege. Und sagen wir deshalb ›Angstente‹ oder ›Angstspatz‹? Obwohl – lockt man sie mit Brot an, sind sie recht neugierige Tiere. Das kommt davon, dass sie so viel mit Menschen zu tun haben. Aber vielleicht hat der Hase gar keine Angst, wenn er davonflitzt, sondern ist innerlich ganz cool, denkt vielleicht: ›Du kriegst mich eh nicht, du kriegst mich eh nicht‹. Man sollte wirklich einem Hasen einmal ein Instrument umbinden und seinen Herzschlag messen, dann wüssten wir, ob er Angst hat.

Aber es ist nun mal so: Als Hase frisst man Wiese und nicht etwa Wolf oder Adler. Also braucht man denen auch nicht hinterher zu jagen. Umgekehrt muss der Hase sich gerade vor den Adlern in Acht nehmen und seine Augen und Ohren überall haben. Ganz besonders am Himmel. Und so steckt der Hase seinen Kopf besser nicht allzu lange ins Gras, stellt die Löffel auf, guckt sich ständig um und nimmt lieber ein Mal zu viel Reißaus.

Im Ganzen macht der Hase einen ängstlichen, verhuschten Eindruck, das stimmt schon. Aber ist das denn schlecht? Vielleicht hat der Hase weniger Angst, als dass er vernünftig ist? Wäre ja schön blöd, falls da gerade eine Adlerfamilie im Sturzflug vom Himmel kommt und der Hase als Letztes denkt: ›Mit Euch nehme ich’s auf, aber mit Links!‹

So ist es ja auch mit der Angst bei uns Menschen. Sie hilft uns einzuschätzen, was wir können und was nicht. Sie verhindert, dass wir Fehler machen, Dummheiten anstellen oder nicht merken, wenn etwas gefährlich wird. Angst ist vernünftig. Andererseits ist zu viel Angst wiederum unvernünftig. Denn dann verhindert sie, dass wir frei und klug handeln, dass wir uns wohl fühlen. Wenn einer sich rund um die Uhr Sorgen macht, ständig an seine Angst denkt und vor einer Ameise am liebsten auf den Fernsehturm flüchtet. Wenn einer vor Angst keine Ruhe hat, überall Gespenster sieht oder aus Angst sich etwas nicht traut, was er doch eigentlich so gut kann, dann ist diese Angst schlecht für ihn. Ihm fehlt das Vertrauen in die Welt und in das Leben. Sich trauen – vertrauen – sich vertrauen.

Kinder haben es nicht leicht. Sie müssen die richtige Stelle zwischen zu wenig und zu viel Angst erst finden. »Manchmal hast du ein bisschen zu viel Angst«, das ist es, was wir meinen, wenn wir ›Angsthase‹ zu einem Menschen sagen.

Wort und Text: Mathias
 

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