Backup

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Sicherung, Kopie oder Ersatz. Englisch, wörtlich übersetzt so was wie ›rückwärts hinauf‹, vor allem in der Computerwelt geläufig. ›Backup‹ bedeutet dort das Sichern, Zurücksetzen oder Stützen von Daten und Systemen. Hab ich zum Beispiel meine geliebte Fotosammlung auf dem Rechner, erstelle ich zur Sicherheit eine Kopie von allen Bildern und speichere sie an einem anderen Ort ab (lokal oder online). Das ist mein Backup. Sollte mein Rechner einem Weltuntergang zum Opfer fallen, einem Buschbrand mit anschließender Überschwemmung, einer Hammerattacke, oder sollte er einfach von der Balkonbrüstung fallen, wer weiß, wären meine Fotos normalerweise hinüber und für alle Zeit verloren. Endgültig futschikato. Aber ich hab ja zum Glück noch eine Kopie. Ich kann sozusagen von rückwärts wieder auf den Stand der Dinge kommen. Damit dieses Rückwärts nicht allzu weit in der Vergangenheit liegt und womöglich Fotos von der letzten Safari fehlen, sollte ich eigentlich regelmäßig ein Backup machen. Clevere Computer erledigen das automatisch für mich. So kann ich mich immer schön in Gegenwart und Zukunft stürzen, auch wenn mal was kaputt geht, und mich sorgenfrei des Gedankens erwärmen, dann als Opa all die Fotos wieder durch zu schauen.
Das hat nebenbei was Befreiendes. Ich brauch ja nun keine Angst zu haben, dass ich das schöne Portraitbild von dir mit einem unbedachten Mausklick kaputt mache. Wo ich dir gerade so eine schöne Clownsnase, Vampirzähne und Sabberfäden angemalt habe. Eine Sicherheitskopie vom Original gibt es noch. Und auch die Informatiker – die Leute, die Computersysteme und Benutzeroberflächen bauen – können sorgenfrei und ungehemmt herum experimentieren: Geht das Experiment in die Hose, so dass der Rechner keinen Pieps mehr von sich gibt oder auf der Internetseite plötzlich niedliche Katzen statt der spröden Geschäftszahlen zu sehen sind, lässt sich mit einem Backup doch das meiste retten und wieder herstellen.

Weil sie so ungemein praktisch sind, gibt es Backups nicht bloß in der Computerwelt. Auch der Ersatztorhüter beim Eishockey wird als ›Backup‹ bezeichnet, genauso Verstärkungs- und Ersatzeinheiten bei Polizei, Armee und Katastrophenschutz, oder eine Sicherungsbatterie. Eine Backup-Band ist die Begleitband eines berühmten Musikers. Ein Backup-Plan sozusagen der Plan B, falls Plan A nicht funktioniert.
Neulich erzählte mir ein Freund, dass Backups sogar in der Welt des Lebendigen und Organischen vorkommen, im Pflanzen- und Tierreich. An der Universität hat er eine junge Dame kennengelernt (und sich ein bisschen verliebt, aber ob ich das hier erzählen darf …), die sich mit Bakterien beschäftigt. Diese Bakteriologin züchtet im Labor Kulturen, also ganze Völker und Gesellschaften von Bakterien, und schaut dann, wie sie mit bestimmten Bedingungen und Veränderungen umgehen: wenn es plötzlich heiß wird, wenn der Speiseplan umgestellt wird, wenn man oben und unten vertauscht … Dabei hat sie festgestellt, dass nicht alle Bakterien einer Kultur sich den Veränderungen im Detail anpassen, also sich beispielsweise komplett auf den neuen Speiseplan einstellen. Circa 20 % der Population (= aller Bakterien, die zusammen in der Experimentier-Schale hocken) bleiben unspezialisiert und bilden automatisch das Backup. Sollte mit dem Rest etwas schief laufen, eine tödliche Magenverstimmung etwa, eine Sackgasse der Evolution, kann die ursprüngliche Bakterienkultur aus dem Backup neu entstehen.

Schlau von den Bakterien, oder von Mutter Natur, denk ich mir da, und: bei uns Menschen gibt es das im Prinzip auch! Immer wieder begegne ich Leuten, von denen ich denke: ›Mensch, warum wird sie nicht eine berühmte Malerin? Warum ist er nicht schon längst Bundeskanzler? Und wieso gründen diese beiden nicht endlich eine Firma und verwirklichen ihre Ideen?‹ Leute, die eigentlich das Zeug dazu haben, Erfahrungen, Talente und Kräfte, eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft zu spielen. Stattdessen machen sie irgendwie den Anschein, nicht richtig voran zu kommen bzw. nirgends wirklich angekommen zu sein. Als würden ihre Gaben schlummern, bis zur Morgenröte einer Utopie oder dem Dämmern einer großen Veränderung. – Völlig klar! Das ist unser Backup!
20 % wie bei den Bakterien, das wäre jeder Fünfte. Mit der Größenordnung bin ich mir nicht so sicher, vielleicht sind die menschlichen ›Backups‹ aber gehäuft in bestimmten Milieus und Biotopen zu finden. Sicher ist, dass es nicht einfach ist für diese Menschen: Kinder, die sich nicht wie andere auf den Spielplatz des Lebens stürzen, die sich nicht für ein Instrument, ein Hobby oder einen Berufswunsch entscheiden können. Studenten, die das ziellose und allgemeine Lernen lieben, die Angst davor haben, dass es enden könnte, während andere sich zielstrebig und ganz pragmatisch auf das Funktionieren in verschiedenen Positionen unserer Gesellschaft vorbereiten. Erwachsene, die irgendwelche Jobs erledigen, um sich durchzuschlagen, sich jedoch stets wie eine Fehlbesetzung vorkommen … Es ist ja nicht so, dass diese Menschen sagen: ›Hey, ich bin das Backup und spare mich für den Ernstfall auf.‹ (Wäre freilich auch eine schlechte Ausrede.) Natürlich haben sie ihre Meinungen und Überzeugungen, ihre Ziele und Sehnsüchte. Sie beobachten das Leben und die Welt nicht bloß von der Seite. Natürlich wollen sie mitmachen. Klappt nur eben nicht immer. Dadurch wiederum sind sie auch kein ›kaltes Backup‹, das den Zustand unserer Welt zum Zeitpunkt t in der Vergangenheit eingefroren hat. In Echtzeit nehmen sie die Entwicklungen und die jeweiligen Vor- und Nachteile unserer gesellschaftlichen ›Evolution‹ auf, bewahren indes aber eine kritische Gesamtschau, oder werden – anders formuliert – zu einer kritischen Gesamtsicht gezwungen. Solange sie ihre Rolle nicht gefunden haben, sind sie eben auch Zuschauer.

Aber braucht unsere Gesellschaft, unsere Kultur ein Backup? Sagen wir mal so: die Bakterien können ebenfalls nicht vorhersagen, ob sie Zuckerwasser oder Säure in den Rachen geschüttet bekommen. Mich trägt, jedenfalls ab und zu, das Gefühl, dass die Gesellschaft, vielleicht sogar die ganze liebe Erde ein einziges großes Labor ist, da in allen Winkeln und an allen Apparaten munter experimentiert wird. Und das ist gut, denn auf diese Weise entwickeln wir uns weiter, machen Entdeckungen und bleiben anpassungsfähig. Das bedeutet nicht, dass ich alles gutheiße, was Menschen so erfinden und sich ausdenken, oder wohin sich die Gesellschaft und die Kultur (im Moment oder in bestimmten Bereichen) entwickeln. Gut und irgendwie befreiend ist zugleich das Bewusstsein, dass es ein Backup gibt. Menschen, die Brüche erlebt und unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Leute, die sich nicht einer Ideologie an den Hals werfen, die sich nicht auf ein bestimmtes politisches oder wirtschaftliches System spezialisiert haben, auf ein Lebensthema, auf einen Beruf, eine Technologie, einen Horizont. Menschen, die an Alternativen glauben, die sich nicht anpassen können oder wollen, die nicht ›funktionieren‹, wie es die anderen 80 % gerne hätten. Menschen, die vielleicht mehr Möglichkeiten sehen können, als die gesellschaftliche Realität gerade erzieht und subventioniert.
Und wenn ich genau überlege, hat im Grunde jeder von uns mal eine kritische Haltung zu diesem oder jenem Thema, haben wir alle unsere Träume, von einem besseren Leben für uns und von einer besseren Welt für alle. Sind wir alle ein bisschen ›Backup‹.

Wort und Text: Mathias
 

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