relativ

| Lesealter: ab 9 Jahre |

Ach, das ist einfach zu erklären: Einerseits ist ›relativ‹ die Einschränkung der Gültigkeit einer Aussage, andererseits stecken indirekt Kontextualisierung, Verhältnismäßigkeit und Vergleich in dem Wort.
Alles klar? … Nein? O-ha, dann muss ich meine Aussage wohl einschränken, oder anders gesagt, relativieren: Das Wort ›relativ‹ ist relativ einfach zu erklären. Vielleicht kann ich es dem alten Opa Fritz recht einfach beschreiben, weil der sein Leben lang schlaue Bücher gelesen hat und im Kopf noch fit ist wie ein Turnschuh. Aber seiner Enkelin, der kleinen Fritzi, kann ich bestimmt nicht mit Kontakts… Kontex…alisierung kommen. Sie ist zwar fit wie ein Turnschuh, doch hilft’s ihr wenig, wenn ich ein fremdes Wort mit einem anderen fremden Wort erkläre. Gehen wir es also anders an.

Für den alten Fritz sind 10 Euro ziemlich wenig. Davon kauft er sich einen halben Lotto-Schein und die Pfefferminz-Schokolade, die er so sehr mag. Für die kleine Fritzi dagegen sind 10 Euro ziemlich viel. Davon kann sie sich zwei Wochen lang das Micky Maus-Heft kaufen und obendrein eine Riesenpackung Kaugummis, die sie an Freunde verschenkt und den Rest als Notfallreserve aufhebt. Wäre Opa Fritz jedoch ein armer Schlucker, der in Mülleimern und hinter Parkbänken nach Pfandflaschen sucht, dann wären 10 Euro für ihn ziemlich viel; dafür müsste er so um die 120 Flaschen einsammeln. Und wäre Fritzi ein Mädchen, das drei echte Pferde sein Eigen nennt, das Micky Maus-Heft von einem Diener vorgelesen bekommt und sich vor Kaugummis kaum retten kann, dann wären 10 Euro für sie wahrscheinlich ziemlich wenig.
Was die 10 Euro jeweils wert sind, hängt also immer davon ab, für wen sie sind. Oder was sich derjenige davon kaufen möchte. Klar, 10 Euro bleiben erst mal 10 Euro, das wird ja nicht von alleine mehr oder weniger. Aber für die kleine Fritzi sind 10 Euro, verglichen damit, was dieses Geld dem alten Fritz bedeutet, viel wert. Wenn sie jetzt sagt »10 Euro sind aber viel!«, dann ist das relativ. Jemand anderes würde nämlich sagen »Was? Nur 10 Euro? Das ist aber wenig!«
Der alte Fritz kennt einen Spruch über dieses Relativ-Sein: ›Ein Haar auf dem Kopf ist relativ wenig – ein Haar in der Suppe ist relativ viel.‹ Und mit einem Augenzwinkern tätschelt er seine Glatze.

Schauen wir genauer hin, gibt es nicht nur Haare und Euros, sondern eigentlich sehr, sehr viele Dinge, die relativ sind. Gefühle, Bewertungen und Meinungen gehören dazu. Wie findet Fritzi zum Beispiel die neue Federtasche von Anna? Gefällt ihr das Pfützen-Wetter heute? Ärgert sie sich darüber, dass Ferdinand sie eine Zicke genannt hat, oder lacht sie ihn einfach aus? – All das kann davon abhängen, mit welchem Bein Fritzi morgens aufgestanden ist. Es hängt aber auch davon ab, was Fritzi normalerweise gewöhnt ist, was sie kennt und was sie erwartet. Wie sie aus ihrem Inneren in die Welt hinaus guckt.
Wenn sie in der Schule ein Mathe-As ist und statt der üblichen Eins einmal eine Zwei mit nach Hause bringt, dann findet sie die Zwei … na ja … so na ja, eher schlecht. Um nicht zu sagen: relativ schlecht. Wenn sie jedoch mit dem grausamen Zahlen-Jonglieren schon lange ihre Probleme hatte, freut sie sich jetzt wie Bolle über die Zwei und muss es gleich dem Papa erzählen. Der freut sich dann nämlich auch und streicht seiner kleinen Fritzi übers Köpfchen. Dem Opa könnte sie ebenfalls von der Mathe-Zwei erzählen, aber dem alten Fritz ist es auf eine besondere (für alte Leute typische) Weise relativ gleichgültig, ob nun eine Zwei, eine Eins oder eine Drei. Er freut sich für Fritzi, weil die sich sehr freut, weniger über die gute Zensur. Die Sache mit den Zensuren ist für ihn schon so gewaltig lange her, und mit seinen knapp 90 Jahren hat er schon so viel erlebt, was nicht mit Schule, Rechnen oder Jonglieren zu tun hat, dass es ihm insgesamt nicht wirklich wichtig erscheint. Hauptsache, meiner Enkeltochter geht es gut, denkt er. Sie wird ihren Weg ins Leben der Erwachsenen schon finden. Ob nun mit oder ohne gute Mathe-Noten.
Fritzi findet’s toll, so einen Opa Fritz zu haben, denn mit ihm ist es manchmal weniger schwer. Durch seine alten Augen kann sie erkennen, dass ihre Schürfwunde am Knie nicht so schlimm ist, wie sie im Moment denkt, und dass sie mit der Zeit schon wieder heilen wird. Mit seiner Hilfe ahnt sie, dass auch der Schmerz über den im Spätsommer verstorbenen Schlappi, ihr Zwergfuchskaninchen, irgendwann den schönen Erinnerungen weichen wird. Einfach durch seine Art und seine Erfahrung hilft ihr der alte Fritz dabei, sich selbst und all die Dinge einmal von außen oder von einer anderen Seite zu betrachten. Sie ändern dann ihr Gesicht und ihr Gewicht, werden leicht und wandelbar. Daher ist es wohl ganz gesund, sich ab und zu daran zu erinnern, wie herrlich relativ alles sein kann und wie schrecklich ernst wir uns manchmal nehmen. (Und das gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder!)
Natürlich bedeutet das nicht, dass es eigentlich schnurzpiepegal oder unwichtig ist, wie wir etwas finden oder was wir fühlen. Wenn Fritzi den Ferdinand doof findet, dann ist das halt so. Für Fritzi und für Ferdinand. Aber deshalb ist Ferdinand ja nicht automatisch für den ganzen Rest der Welt und für immer doof. Daran denken wir nicht immer. Anna zum Beispiel findet den Ferdinand ganz okay und hat mit dem roten Filzer aus ihrer neuen Federtasche ein heimliches Herz auf einen Zettel gemalt. Und weil Fritzi Anna gut kennt, weiß sie auch, dass jene neue Federtasche, die jeder andere ganz normal finden würde, für ihre Freundin etwas ganz Besonderes ist. Anna hat sie von ihrem Papa bekommen, der weit weg wohnt und den sie leider selten sieht.

›Selten‹ und ›oft‹ gehören übrigens auch zu den relativen Sachen. Überhaupt ist, wie wir das Fließen und Vergehen der Zeit erleben, hochgradig relativ. Letzten Herbst war die kleine Fritzi zusammen mit dem alten Fritz auf einer Modellbau-Ausstellung. Opa war total aufgedreht, hüpfte wie ein kleines Kind von Stand zu Stand und hatte seine helle Freude an Flugzeugen, Eisenbahn-Landschaften, Nachbildungen von Feuerwehrautos, wie sie in seiner Jugend umher fuhren, und an all den kleinen, miezligen Dingen: Rückspiegel in der Größe von Stecknadelköpfen, Nummernschilder, die man mit der Lupe lesen konnte, klappbare Seitenrudern und Mini-Menschen, die Minimini-Hunde an der Leine führten. Seiner Enkeltochter aber war sterbenslangweilig. Nichts durfte sie anfassen, und wenn, dann am besten nur mit weißen Handschuhen. Immer nur gucken, und dazu die meist älteren Herrschaften, die sich in einer Geheimsprache aus Typenbezeichnungen und Katalognummern unterhielten … Während für den alten Fritz die Zeit wie im Flug verging, schien dieselbe Zeit für Fritzi das ewig gleiche Voranschreiten von Jahrmillionen zu sein. Sie fühlte sich schon ein bisschen versteinert, als sie endlich ein Eis bekam. Am Ende durfte sie ein Flugzeug aus Styropor basteln und anmalen. Den ganzen Weg zur Straßenbahn segelte es vorneweg, doch meistens kreuz und quer. Einmal landete es direkt auf Opas Glatze. Immerhin war das dann noch relativ lustig.

Indes, nicht nur unser Erleben, unsere Meinungen und Gefühle können relativ sein, auch das, was eine Gesellschaft als richtig oder falsch erachtet, oder was unter Leuten gemeinhin als gutes Benehmen gilt. Landen hierzulande in Honig geröstete Heuschrecken auf dem Teller, findet Fritzi das ziemlich eklig. Andersherum gilt bei Muslimen und Juden das Essen von Schweinefleisch als unrein. Und Fritzi isst gerne Schweinefleisch. Entfährt ihr bei Tisch ein kleiner Rülpser, wird darüber geschmunzelt und es kommen Fragen wie »Na, hat’s geschmeckt?« und vielleicht ein sanft strafender Blick von Mama. Rülpst aber der alte Fritz herzhaft in die Tischgemeinschaft hinein, ist das unverzeihlich und furchtbar peinlich.
Das war nicht immer so. Noch vor ein paar Hundert Jahren gehörten Rülpsen und Pupsen beim Essen zum guten Ton. Sie galten als Zeichen, dass man sich rundum wohl fühlte. Ein Furz war quasi ein schönes Kompliment für den Gastgeber oder den Koch.
Doch wo wir gerade von Schweinereien reden – ich traue mich kaum, es zu sagen: Sogar Kacke ist nur relativ eklig. Nehmen wir mal junge Eltern, die gerade die Windel ihres Babys auspacken. Wie die sich freuen und ihren Sprössling loben für die Stinkbombe, die er da gelegt hat! »Fein!« rufen sie, und »So ein großer Haufen, wunderbar!« Tja, wenn wir größer sind, freut sich keiner mehr derartig, wie fein unser Verdauungssystem funktioniert. Dabei kann Babykacke wesentlich brutaler stinken und aussehen, als das, was unsereins im Topf hinterlässt.
Na ja. Das ist alles ziemlich relativ, nicht wahr? Relativ heißt, dass etwas nur unter bestimmten Bedingungen, aus einem bestimmten Blickwinkel, in einem bestimmten Verhältnis gilt. Vom Standpunkt frisch gebackener Eltern mag es zutreffend sein, dass Babykacke Anlass zur Freude gibt. Ist das Kind schon etwas größer und kommt auf die Idee, sein ›Geschäft‹ selbst aus der Windel zu holen, damit herum zu spielen und es im Zimmer und an den Wänden zu verteilen, werden dieselben Eltern ihren Standpunkt wahrscheinlich schnell ändern und dem Kind beibringen, dass A-a jetzt nicht mehr ›fein und toll‹ sondern ›iieh und pfui‹ ist.

Im Grunde können wir dieses Relativitäts-Spiel immer weiter treiben. Es gibt nämlich auch allerhand Dinge, Eigenschaften und Naturerscheinungen, die unabhängig von uns Menschen relativ sind. Wasser beispielsweise – das hat die kleine Fritzi in der 2ten Klasse gelernt – kocht bei 100°C. Angeblich. Denn das trifft nur unter normalen Bedingungen zu, also bei uns zu Hause im Topf oder im Kocher. Auf dem Dach der Welt, auf dem höchsten Berg der Erde, dem Mount Everest, da kocht Wasser schon bei 70°C. Von dort ist es ja nicht mehr so weit bis zum Weltraum, was bedeutet, dass die Luft da oben schon recht dünn ist. Es gibt weniger Luftdruck. Die vielen kleinen Wasserteilchen brauchen sich nicht solche Mühe mit dem Zappeln und Blubbern geben und das Wasser kocht schon bei 70°C.
Ein anderes Beispiel: Fritzi spielt im Hof. Sie wirft einen Ball nach oben und er fällt – wer hätte es gedacht? – ordnungsgemäß wieder nach unten. Jedes Mal. Nun ist der alte Fritz in einem Anfall von Abenteuerfieber zur Unterseite des Mondes geflogen und schaut von dort seiner Enkelin beim Ballspiel zu. Da er jetzt sozusagen ›verkehrt herum‹ steht, sieht es für ihn aus, als werfe Fritzi den Ball nach unten und als falle der Ball wieder nach oben. Jedes Mal. ›Oben‹ und ›unten‹ sind also relativ. Erst wenn ich einen Rahmen festlege, wenn ich sage, da, wo meine Füße stehen, ist unten, erst dann gibt es auch ein Oben, von wo aus der Ball herunter fallen kann.
Das geht auch noch einfacher: Fritzi klingelt bei ihrer Freundin Anna und fragt, ob sie zum Spielen ›nach unten‹ kommt. Anna wohnt mit ihrer Mama im 2ten Stock und hat gerade Ferdinand am Telefon, der im 3ten Stock über ihr wohnt. Will Anna mit beiden zusammen in ihrem Zimmer spielen, sagt sie Fritzi, sie solle doch zu ihr ›nach oben‹ kommen, und zu Ferdinand, er kann (wenn er sich mit Fritzi verträgt) gerne zu ihr ›nach unten‹ kommen. Ob Anna also ›oben‹ oder ›unten‹ ist, ist relativ, je nachdem.

Mal abgesehen davon, was alles relativ sein kann: Das Wort selbst – warum begegnet es uns relativ oft im Alltag und wann benutzen wir es?
Vielleicht, wenn wir unsicher sind, ob das, was wir sagen wollen, so gesagt werden kann. Etwa wenn wir nicht wissen, ob wir mit unserer Meinung auf Verständnis und Zustimmung treffen. »Ich fand den Film relativ gut. Und du?« Hier will sich Fritzi noch nicht festlegen. Erst wenn Anna sagt, dass sie den Film auch gut fand, lässt Fritzi das ›relativ‹ weg und erzählt Ferdinand, wie hammer-super der Film war, damit der ein bisschen neidisch sein kann.
Manchmal möchten wir auch, dass Kritik nicht zu hart oder endgültig klingt und machen sie etwas weicher: »Das war jetzt aber relativ ungezogen von dir, Fritzi, dass du der Frau mit dem Kinderwagen nicht Platz gemacht hast.«
Manchmal wollen wir anderen die Möglichkeit lassen, zu entscheiden: »Nehmen wir lieber Streuselkuchen oder Blaubeertorte, Schatz?« »Ich mag Blaubeeren, aber das ist mir relativ egal.«
Und manchmal meinen wir wirklich jenes Relativ-Sein, die verschiedenen Blickwinkel, die den Dingen verschiedene Ansichten und Bedeutungen geben. Fragen wir einmal die kleine Fritzi, wie es ihr geht: »Na Fritzi, wie war’s heut in der Schule?« Vielleicht sagt sie »doof«, weil sie sich immer noch über Ferdinand ärgert, der sie eine Zicke genannt hat. Vielleicht sagt sie aber »toll«, weil sie in der Hofpause so schön zusammen durch die Pfützen gehüpft sind. Und jetzt fragen wir mal den alten Fritz: »Wie geht’s dir heute?« Opa Fritz hat nicht gut geschlafen, sein künstliches Hüftgelenk macht ihm zu schaffen. Da könnte er nun schlechte Laune haben, aber er freut sich auch auf seinen Nachmittagsspaziergang und auf die Pfefferminz-Schokolade, die er so sehr mag. »Relativ gut geht’s mir«, antwortet er. Und damit meint er: insgesamt, von vielen Blickwinkeln aus betrachtet. Natürlich ist das Altwerden nicht immer spaßig, da zwackt es mal im Rücken, da tut es in der Hüfte weh. Aber es könnte schlimmer sein. Verglichen mit anderen Leuten in seinem Alter fühlt Opa Fritz sich noch recht rüstig. Und warum sollte er sein Wohlbefinden mit der Gesundheit von jungen Leuten vergleichen? Außerdem hat er oft seine Lieben um sich und plant schon den nächsten Ausflug mit der kleinen Fritzi. (Vielleicht wieder eine Modellbau-Ausstellung?) Insgesamt geht es ihm also einigermaßen / halbwegs / ziemlich / relativ gut. Und auch wenn der alte Fritz die verschiedenen Richtungen mit denkt, aus denen man betrachten könnte, wie es ihm denn geht, muss er sie nicht extra lang und breit erklären. Es reicht, wenn er mit dem Wort ›relativ‹ einfach andeutet, dass es sie gibt.
Zu guter Letzt gibt es noch die Möglichkeit, das Wort anzubringen, indem wir schlicht sagen: Das ist relativ. So etwas passt dann wunderbar in die Situation neulich, als Fritzi mit ihrem Ball unterwegs war und ein Junge vom Spielplatz meinte: »Bäh, Mädchen können nicht Fußball spielen!« Fritzi sah ihn nur lange an und sagte schließlich: »Das ist relativ.« Das hieß dann soviel wie: ›Das ist deine Meinung. Und deine Meinung ist mir egal, weil es noch viele andere Meinungen gibt.‹ … Hat der Junge nicht verstanden. Aber er hatte ja auch noch nicht verstanden, dass es sehr wohl Mädchen gibt, die 1A Fußball spielen können.

So … Nach dem ganzen relativen Quatsch, den Ihr nun gehört habt, denkt Ihr vielleicht: Na prima, is ja dufte! Im Prinzip ist alles relativ, weil alles von verschiedenen Seiten und mit verschiedenen Meinungen angeschaut werden kann. Weil nichts für sich allein existiert und immer alles mit allem anderen in irgendeiner Beziehung steht. (Der Einstein Albert hat vor rund 100 Jahren sogar eine Relativitätstheorie ersonnen. Aber die begreifen selbst die wenigsten Erwachsenen richtig.) Tatsächlich gibt es jedoch Menschen, sogenannte Relativisten, die diesen Gedanken ein wenig übertreiben. Wenn alles immer nur in einem Verhältnis zu etwas anderem gilt, dann gilt nichts allgemein und man kann folglich an allem zweifeln.
Jetzt bekommt die kleine Fritzi einen großen Schreck. Das hieße ja, dass alles egal ist! Nichts ist mehr fest und klar, die Dinge haben in Wirklichkeit kein Oben & Unten, es gibt kein Richtig & Falsch. Und eine schwer erkämpfte Mathe-Eins ist in den Augen des Professors und Nobelpreisträgers XY ein leiser Pups! Dann kann man nie wissen, ob der Ball wirklich jedes Mal wieder nach unten fällt oder wann das Wasser kocht. Wenn schon die Freude über eine Riesenpackung Kaugummi relativ ist (der eine nimmt sie zum Zähneputzen, der nächste zum Blasenmachen), dann ist ja wiederum der Grund, warum man sich freuen könnte (sie schmecken gut) ebenso relativ. Und dieser Grund (weil Süßes gut schmeckt) hat auch wieder einen Grund (Zucker ist Energie), der ebenfalls relativ ist (Zucker macht dick). Aaaahhh! Nichts wäre endgültig, nichts trifft wirklich zu und nichts ist wirklich wahr und sicher!
Ganz ruhig, liebe Fritzi, nicht übertreiben. Ich denke, so einfach können es sich die Relativisten nicht machen und wir müssen es uns nicht so schwer machen. Wie gesagt, es kann hin und wieder ganz entspannend sein, sich das Relative vor Augen zu halten und in andere Sichtweisen zu schlüpfen. Aber ›relativ‹ heißt ja nicht automatisch, dass es egal ist, sondern nur, dass die Bedeutung unterschiedlich und wandelbar ist. Bedeutung aber (und damit Sinn und Wahrheit) bekommt etwas immer erst durch uns. Wir sind es, die die Welt anschauen, staunen und finden. Die neu entdeckten Tieren und Kuschelteddys Namen geben. Die ausrechnen können, wann das Wasser im Weltraum kocht oder mit welcher Wahrscheinlichkeit Opa Fritz im Lotto gewinnt. Dadurch, dass die Welt um uns herum etwas bedeutet und wir immer etwas wollen, fühlen oder wünschen, sind wir es, die aus Schulkindern zu Entdeckern und Erfindern werden. Die vielleicht mal einen Nobelpreis bekommen (wie jener Albert Einstein, der in Mathe übrigens eine ziemliche Null war), die Häuser und Maschinen bauen, die Kranke gesund machen, reisen und für unsere Familien und Freunde da sind.
Unsere Welt ist dann gar nicht mehr so erschreckend relativ und wackelig. Zumal wir ja auch zeigen und sagen können, was die Federtasche, die Zensur oder ein Wort für uns bedeuten. Immerhin können wir uns auf eine Bedeutung einigen. Ein 10-Euro-Schein ist schließlich nur deshalb mehr als ein Stück bedrucktes Papier, weil man sich irgendwann darauf geeinigt hat, dass das Geld sein soll und man sich Micky Maus-Hefte davon kaufen kann oder ein Viertel Pferd. Außerdem spüren wir oft sehr deutlich, was die Anderen denken, fühlen oder meinen. Fritzi ist sich ganz sicher, dass Mama und Papa sie immer lieben werden, wenn sie abends, schon halb in den Schlaf gesunken, von ihnen einen Kuss bekommt. Der alte Fritz hat seinerseits natürlich gemerkt, dass Modellbau-Ausstellungen für seine Enkeltochter unendlich langweilig sind. Und Ferdinand ahnt vielleicht, dass Fritzi ihn nur heute doof fand.
Dass er jedoch ab und zu eine andere Meinung hat, die genauso gültig ist; dass für verschiedene Menschen dasselbe Ding, dasselbe Erlebnis, dasselbe Gefühl eine andere Bedeutung haben kann – dies zu lernen und vor allem zu akzeptieren, kann manchmal relativ schwer sein. Auch für die Großen.

Wort und Text: Mathias
 

Eine Antwort auf „relativ“

  1. Für Schlaumeier:

    Die Relativität der Dinge entsteht, indem wir sie von verschiedenen Orten aus, mit verschiedenen Meinungen und unter verschiedenen Bedingungen beobachten, erleben und bewerten können. Was dabei herauskommt oder für uns wichtig ist, hängt davon ab, welche Voraussetzungen wir an eine Situation herantragen, welche Erfahrungen wir übertragen, welche Erwartungen wir einbringen. Oder – wenn es schon um Standpunktwechsel geht, in welches Set aus Bedingungen wir eine Situation einbringen. Tragen, bringen, einbringen, übertragen … Darin verbirgt sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes ›relativ‹. Das stammt vom lateinischen referre: zurückbringen, zurücktragen, heimbringen und wieder holen bzw. wiederholen. In der Zeit, als der alte Fritz zur Schule ging, lernten viele Kinder Latein, so wie heute Englisch oder Französisch auf dem Stundenplan steht. Noch heute kann Opa Fritz wie im Schlaf die Beugung lateinischer Verben aufsagen: fero, tuli, latum. Relatum ist also eigentlich etwas Zurückgeholtes, Zurückgebrachtes. Philosophen benutzten das Wort, wenn sie meinten: den Geist auf etwas zurücklenken, sich auf etwas beziehen; womit wir beim heutigen ›relativ‹ wären. Und in gewisser Weise bedeutet dieses referre auch ein Zurückbringen oder ein Wiederholen von Wörtern, also eine Erzählung (relatus) oder ein Vor-trag (Re-ferat).
    Unsere kleine Fritzi kennt ebenfalls schon ein paar Wörter mit re- am Anfang. Re-agieren, re-novieren, Re-cycling, Re-zept, Re-volver oder Re-ligion zum Beispiel. Funktioniert aber nicht überall: Re-hkitz, Re-ntner, Re-sturlaub … So ein Sturlaub muss schon was Seltsames sein. Andererseits legt Re-gierung vielleicht nahe, dass hier jemand gierig ist? Wer weiß.

     

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