Stress

| Lesealter: ab 8 Jahre |

Stress, gestresst sein, etwas ist stressig, Stress haben, im Stress sein. Eine Ausrede, die Erwachsene gerne benutzen, wenn sie keine Zeit für die Kinder haben. Sie hören dann nicht richtig zu, sind unkonzentriert, wechseln schnell das Thema oder geben schlechtgelaunte Antworten. Kinder sollten eigentlich keinen Stress haben, aber oft genug ist das heute der Fall. Das Wort verdanken wir dem Englischen, was jedoch nicht unbedingt heißt, dass die Engländer den Stress erfunden haben. Wer weiß …

›Stress‹ ist ein Gefühl, und zwar kein schönes. Wir fühlen uns beengt, bedrängt, wir haben so viel zu tun und kaum noch Zeit, dies und das muss unbedingt erledigt werden, als würden wir in einer kleinen Kiste hocken mit knapper werdender Atemluft. Kaum zu sagen, wann wir wieder einmal Zeit finden werden, das zu tun, worauf wir wirklich Lust haben. Mit Stress wird die Welt plötzlich ganz klein und eng und laut und farblos und – das Schlimmste, es gibt keinen Platz mehr für Träume.

Oft sieht man den Stress kommen, ab und zu tritt er auch völlig unerwartet auf: Gestern bist du spät aus der Schule gekommen, weil dein Fahrrad einen Platten hatte und du den ganzen Weg schieben musstest. Du sollst noch Hausaufgaben machen, den Müll runter bringen, Opa Reinhard zum Geburtstag gratulieren, Gitarre üben, den Ranzen packen, das Buch von Linette zu Ende lesen, weil sie es morgen zurück haben will, und jetzt möchte Papa von dir, dass du den Abendbrot-Tisch deckst, ja ist denn das zu fassen?! Ich glaub, ich krieg die Krise!

Die Fülle der Aufgaben lastet megatonnenschwer auf deinen Schultern. Es kommt dir vor, als müsstest du, dem Riesen Atlas gleich, die ganze Weltkugel schleppen. Am liebsten möchtest du dich jetzt unterm Bett verkriechen und Teil einer Abenteuergeschichte werden, wo die Helden nie den Müll runter bringen oder auch nur Zähne putzen müssen. Stress!

Aber eigentlich, so ganz ganz eigentlich ist ›Stress‹ nicht das, was wir alles zu tun haben, sondern unser Gefühl; also wie wir das finden, dass wir viel zu tun haben. Wie wir damit umgehen. Selten passiert es, dass der Stress uns Kraft und Stärke gibt, uns beflügelt. Dann spüren wir die Energie in uns aufsteigen wie eine Welle. Man denkt im Angesicht der Aufgaben, die vor einem liegen, dass man hier ordentlich was schaffen wird, und möchte am liebsten gleich loslegen. Abarbeiten. Das nennt sich dann positiver, also guter Stress. Ist leider, wie gesagt, sehr selten, ungefähr so selten wie ein Regenbogen nach dem Wolkenbruch. Meistens regt Stress uns auf und raubt uns die Konzentration. Genau das ist das Tückische am Stress: Wir sind schlecht drauf und erledigen unsere Aufgaben schlecht. »Heut morgen hat mich Mama mit Stress zur Schule geschickt und ich bin trotzdem zu spät gekommen.« In der Hektik vergessen wir den Schlüssel oder die Pausenbrote und müssen noch einmal zurück. Wir wollen uns beeilen und passen dabei im Straßenverkehr nicht auf. Vielleicht wird Mama im Auto wütend und hupt. Vielleicht zerrt Papa dich hinter sich her, obwohl du dir ein Schaufenster angucken willst, und dann fehlt bloß noch, dass die Einkaufstüten reißen, die Joghurtbecher platzen und der ganze Matsch auf deine neue Hose kleckert. Im Unterricht verrechnest du dich, oder du merkst dir nur die Hälfte, weil in deinem Kopf Gedanken an Tausend Dinge herum wuseln. Als wäre da eine laute, nervige Stimme, die die ganze Zeit kräht: »Beeile dich, du hast keine Zeit und noch soooo viel zu tun!« Und dabei soll einer klar denken?

Natürlich ist Stress nicht bloß eine Ausrede, es gibt ihn wirklich, vor allem Erwachsene haben ihn. Sie verlieren den Kopf, wie man so sagt. Sie schimpfen viel, haben dunkle Ringe unter den Augen und sind möglicherweise auch mal ungerecht. Oft gibt es auf Arbeit Stress und die Erwachsenen brauchen zu Hause erst mal Zeit um runter zu kommen, um ihre Nerven zu beruhigen und an etwas anderes zu denken. Finden sie daheim aber keine Ruhe, bleibt ihnen nichts übrig, als abends völlig fertig ins Bett zu fallen. Am nächsten Tag geht der Stress weiter und das nennt sich dann ›Dauerstress‹.

Richtig ungesund wird das Ganze, wenn der Dauerstress nicht aufhört. Wenn man jede Nacht von seinem Stress träumt oder gar nicht mehr richtig schlafen kann. Der Körper spürt diesen Stress deutlich und sendet Signale. Er ist schlapp und müde, manch einer bekommt Kopf- oder Bauchschmerzen oder wird fürchterlich krank. »Pause!« ruft der Körper. Doch was hilft gegen Stress? Sport funktioniert wunderbar, weil beim Sport der Kopf mal ausschalten darf. Und der Körper freut sich über einen Dauerlauf und ein paar Schwimmzüge – ist mal was anderes, als immer im Büro oder in der Werkstatt zu sitzen. Was auch hilft, ist, wenn die Kinder ihren Eltern ab und zu einen Wohlfühltag gönnen. Mit allem drum und dran. Das ist nicht nur für Mama und Papa schön, sondern auch für die Kinder, weil man mit stressfreien Eltern viel mehr Spaß haben kann. Und schließlich gibt es da noch Entspannungs-Techniken, die aus dem fernen Asien zu uns gekommen sind und Yoga oder Meditation heißen. Dabei setzt man sich zum Beispiel ruhig hin, atmet ganz vorsichtig und horcht tief in sich hinein. So tief, dass man die Welt außerhalb des Körpers vergisst. Manchmal hilft es, dabei über wichtige Fragen nachzudenken. Aber das müssen wirklich wichtige Fragen sein, also nicht die Einkaufsliste zum Beispiel!

Stress ist nicht schön und Stress ist etwas, das die Menschen heute häufiger plagt als Leute aus anderen Zeitaltern. Ich glaube es ist nicht geschwindelt, wenn ich sage, dass die alten Ägypter, die Griechen oder die Menschen im Mittelalter weniger Stress hatten als wir heute. Ich vermute, es liegt daran, dass wir heute schneller leben, dass die ganze Gesellschaft beschleunigt wird, als stehe einer mit seinem Fuß auf dem Gaspedal. Nehmen wir mal an, die Menschen sind mit einem Wagen durch die Zeit unterwegs. Als Urmenschen haben wir den Wagen einfach über die Erde geschoben, das war vielleicht anstrengend, aber nicht stressig: viel Zeit, sich jeden Grashalm anzuschauen. Später hat sich einer das Rad ausgedacht und zwei Ochsen vor den Wagen gespannt – das war schon recht bequem, aber auch nicht stressig. Logisch, ein bisschen schneller ging es, wenn Rennpferde unseren Wagen zogen. So sind die Menschen eine ganze Weile über die Erde und durch die Zeit gereist, von der Antike bist ins Zeitalter der großen Entdeckungen. Dann ging es Schlag auf Schlag: erst die Eisenbahn, dann, vor circa 100 Jahren das Auto, das Flugzeug, der Düsenjet, und heute … Heute, kann man sagen, sind wir in unserem Wagen mit Raketenantrieb unterwegs! Das geht sehr viel schneller, aber von der Landschaft bekommen wir nichts mehr mit. Und so ist das in vielen Bereichen unseres Lebens. Früher machte vielleicht alle 100 Jahre ein Forscher eine geniale Erfindung, heute gibt es jedes Jahr mehrere, die unsere Welt verändern, und die wir gar nicht alle lernen und verstehen können. (Viele dieser Erfindungen haben übrigens die Engländer gemacht; sind sie also vielleicht doch die Urheber des Stresses?) Früher war ein Brief mit der Postkutsche mehrere Wochen unterwegs, heute schreiben wir am Computer eine E-Mail, klicken 1x mit der Maus, und schon ist sie da. Ist ja auch toll irgendwie, aber insgesamt sorgt unser schnelles, beschleunigtes Leben auch für mehr Stress. Wir sind überall von Bildern und Nachrichten umgeben, und weil ja überall auf der Welt andauernd was passiert, sind das immer neue Bilder und neue Informationen. Wir müssen – nicht nur auf Arbeit – viele Aufgaben gleichzeitig erledigen statt nacheinander. Mit unseren Telefonen, mit Computer und Internet sind wir ständig erreichbar, und wenn einer was will, gilt es als unhöflich, wenn wir nicht gleich antworten. (Früher konnte man eine Woche warten mit der Beantwortung eines Briefes und sich herausreden, der Postkutscher sei krank gewesen.)

Stell dir vor, du hast gerade eine superschlaue Idee, die du aufschreiben möchtest, da klingelt plötzlich das Telefon. Na gut, es könnte ja wichtig sein. Du gehst ran und irgendein Onkel will deinen Eltern ein Gewinnspiel verkaufen, o Mann! Jetzt musst du wieder neu anfangen, dich auf deine superschlaue Idee zu konzentrieren, als plötzlich eine SMS von deinem besten Freund auf dem Handy piepst … Könnte stressig werden, oder? Viele Menschen wünschen sich heute eine ›Entschleunigung‹, das heißt das Gegenteil von Beschleunigung: also Bremsen. Sie wollen ihr Leben ruhiger leben, beispielsweise auf einem Bauernhof ohne Strom und in Harmonie mit den Tages- und Jahreszeiten.
Aber kann man die Zeit zurückdrehen? Kann man wieder auf den Ochsenkarren umsteigen, während andere mit der Rakete weiter düsen? Also ich würde lieber mit der Rakete mitfliegen, aufpassen, dass keiner Quatsch macht und mitbestimmen, wohin die Reise geht. Zwischendurch mal anzuhalten und eine Pause zu machen ist ja nicht verboten. Genau das können wir im wirklichen Leben gegen den Stress tun, den lästigen: Uns Pausen verschaffen, durch Spaziergänge, durch Ausflüge in die Natur. Wir können ein Buch lesen, ein Spiel spielen, uns immer wieder ein bisschen Zeit zum Träumen lassen. Das ist das wichtigste Mittel gegen Stress. Aber wir müssen lernen, mit dem Stress klarzukommen, auch die Kinder, damit sie als Erwachsene die Rakete der Menschheit gut lenken können.

Wort und Text: Mathias
 

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