tierisch

| Lesealter: ab 10 Jahre |

Es ist Sonntag und mal wieder ein Wetter zum Mäusemelken. Die Wolken am Himmel sind keine Schäfchen, sondern fette, tranige Walfischkühe, in die eine Herde Stachelschweine kleine Löcher gepiekst haben muss, so dass es unablässig Bandwürmer regnet. Aber hey, zum Kuckuck! Das ist für Herrn Agame kein Grund, den ganzen Tag wie ein Faultier am Bettpfosten zu hängen. Im Gegenteil: Ist der innere Schweinehund erst überwunden, bekommt er richtig Hummeln im Hintern. Schon hat die Mottenkiste vor geholt und sich in seinen Ausgehfrack gepellt, worin er wie ein Pinguin aussieht. Schnell noch Michele Gazelle geschnappt und los geht’s im Galopp zum ›Fuchsbau‹, der berüchtigten Kellerbar in der Wildwechselgasse.
Herr Agame, von Beruf Tierbändiger und außerdem im Regionalfernsehen als Vogelstimmenimitator bekannt, trägt einen gepflegten, angegrauten Backenbart, der ihm Ähnlichkeit mit einem Kapuzineräffchen verleiht. Was ihn in den ›Fuchsbau‹ zieht, sind die illegalen Schneckenrennen, die dort jeden dritten Sonntag im Monat stattfinden. Dem Spielglück ein wenig die Schnurrhaare kitzeln, da hat er jetzt Bock drauf. Und Michele Gazelle ist seine Rennschnecke. Vor 11 Wochen hat er ihn aus der Regentonne gerettet, gezähmt und nach den Regeln der Kunst abgerichtet.

Im ›Fuchsbau‹ geht wie immer der Bär ab. Allerlei vermaledeite Rindviecher, Halbweltaffen und unterbelichtete Eintagsfliegen lassen kräftig die Sau raus. Eine Zusammenrottung von Ungeziefer und Natterngezücht aus dem ganzen Landkreis Kobelsdorf-Nestlingen, darunter die Alphamännchen zweier Rockerbanden, die sich spinnefeind sind: Leonhard von den ›Gemeinen Heideasseln‹ – aalglatt, das pomadierte Haar in einen Pferdeschwanz gepfercht – und Wolfgang von den ›Märkischen Schädelsalamandern‹, ein wirklich schräger Vogel und mindestens ein ebenso krummer Hund wie der der Familie Baskerville.
Mir schwant nichts Gutes, denkt sich Herr Agame noch, doch will er nicht zu früh unken. Für die Länge eines komplizierten Gedankengangs, wie ihn Elefantenbullen vielleicht haben, beobachtet er luchsäugig das Affentheater und gesellt sich schließlich zu den Schmeißfliegen und Aasgeiern, die den Billardtisch umkreisen.
Dort ist die Rennstrecke markiert. Je Lauf ziehen zwei bis vier Schnecken ihre Spur über den tannengrünen Samtbezug. Leonhard und Wolfgang haben ihre eigenen Schnecken im Rennen – Bunny für die ›Gemeinen Heideasseln‹ und Hasso für die ›Märkischen Schädelsalamander‹ – während die Herde ihrer Bandenmitglieder sich einen anzwitschert, munter Mäuse und Moneten verwettet und sich insgesamt so pudelwohl fühlt wie die Maden im Speck.
Auch Herr Agame wagt nun seinen Einsatz und schickt Michele Gazelle in die Spur. Anfangs muss er jedoch im Trüben fischen, denn Michele Gazelle robbt zwar mit der Würde einer Giraffe ins Feld, aber doch viel zu behäbig. Da ist der Wurm drin, glaubt Herr Agame. Vielleicht mag es daran liegen, dass sein Schneckerich der Rockerschneckin Bunny schöne Augen macht, soweit das nach Schneckenart möglich ist. Schöne Stielaugen eben. In der Tat ist Bunny, wie sie ihren schlanken Leib samt Häuschen übers Billardtuch schlängelt, eine rattenscharfe, flotte Biene. Das darf man selbst nach menschlichem Ermessen ruhig zugeben. Auch Hasso, der auf Schwungmasse trainierte Bänderschneck von Schädelsalamander-Wolfgang, hat das registriert und schaut sich von seiner Poleposition immer wieder nach den Verfolgern um. So ein eitler Pfau.

Aber was geschieht weiter? Wird Michele Gazelle die Kuh noch vom Eis holen können? Die Wetten sind gemacht – viele tippen auf Sieg für Hasso, Leonhard und Heideasseln haben artig auf einen zweiten Platz für Bunny gesetzt. Just in diesem Moment, mit dem perfekten Timing eines Zugvogels, entpuppt sich Michele Gazelle dann aber doch als ausgefuchster, alter Hase, der nur zu genau weiß, wann die Schafe zur Schur zu führen sind. Jetzt stürmt er nämlich los wie ein Kavalleriepferd und liegt schon gleichauf mit der schönen Bunny! Und während er der Bande zeigt, wo der Hase läuft, machen die Rocker ein Gesicht, als sei ihnen eine Laus über die Leber gelaufen. Einige ahnen schon, dass sie ihre Kröten dem nimmersatten Vielfraß Hochmut in den Rachen geworfen, und beginnen wie die Rohrspatzen zu schimpfen. Ja es scheint beinahe so, als habe Herr Agame den Vogel abgeschossen, weil er allein den Löwenanteil seines Taschengeldes auf Michele Gazelle gesetzt hat. Das könnte sich rentieren, denn sein Schneck hat inzwischen einen Affenzahn drauf. Im wieselflinken Schweinsgalopp macht er schon dem bärbeißigen Hasso die Führung streitig, allerdings nicht ohne (im Rückspiegel sozusagen) heftig mit Bunny zu turteln, dass die Spatzen es von den Dächern pfeifen. Derartig motiviert, mit einem Anflug von Schamesröte auf ihrem taubenblauen Schneckenhaus, legt auch sie jetzt eine schnellere Gangart ein und setzt sich auf die Schleimspur des Schwerenöters.
Und Hasso? Der fällt unaufhaltsam zurück. Schwerfällig wie eine Riesenschildkröte und schwermütig wie eine Grille im Spätsommer, kurz bevor sie in die Fänge einer Gottesanbeterin tappt. Offenbar ist er ebenfalls mit der Hoffnung schwanger gewesen, das possierliche Schneckenmädchen unter seine Fittiche zu nehmen. Seine Niederlage jetzt war wie die Generalversammlung der Glühwürmchen für jeden Maulwurf mit Sonnenbrille sichtbar. Das verkraftet der Kraftmeier leider schlecht bis gar nicht, und völlig gegen die Art der ›Märkischen Schädelsalamander‹ macht er sprichwörtlich den Strauß, steckt den Kopf in den Sand und igelt sich in seiner Bude ein.

Ob dieses verblüffenden Rennverlaufs geben die übrigen Besucher der Schnapsboutique ziemlich belämmerte Figuren ab. Aufgescheuchten Rehen gleich tigern sie um den Billardtisch, manche raufen sich die Haare oder, im Fall von Glatze, das Brustfell. Sogar einige tätowierte Greifvögel machen ein Gesicht wie Koalas im Scheinwerferkegel eines Jaguars. Einigermaßen entspannt sehen noch Leonhard und seine Rotte dem Ende des Rennens entgegen, ist doch Bunny wieder auf dem zweiten Platz. Der Herr der Asseln reibt sich die Pfoten, striegelt seinen Pferdeschwanz und kichert diebische Elsternfreude in seinen Bierbauch. Ganz anders die Stimmung im Lager der Rivalen. Die Schädelsalamander und ihr Leitwolfgang fühlen sich schlichtweg übertölpelt. Oje, hundeelend schauen sie drein, und Hassos Herrchen wirkt wie ein begossener Pudel. Fast könnte man ›Leid-Wolfgang‹ sagen.
»Da brat mir doch einen nen Storch!« hört Herr Agame ihn röhren. Ungewaschen, gewissermaßen frisch aus der Suhle, ist Wolfgang angetan mit dem Geruch von Schafbock und Maschinenöl, welches letztere übrigens auch auf seiner Stimme liegt und ihr einen Klang gibt, der das Bild eines Brüllaffen beim Talentwettbewerb der höheren Töchterschule provoziert. Ein Primat durch und durch. Jedenfalls keiner, in dessen Dunstkreis man länger als nötig nisten möchte. Unglücklicherweise rückt er dem Herrn Agame jetzt empfindlich auf den Pelz, der sich seinerseits von einer inneren Stimme gewarnt findet: Adlerauge sei wachsam, der brütet was aus!
In der Tat geht Wolfgang zum Angriff über. »Der komische Kauz will uns einen Bären aufbinden! Die Schnecke ist gedopt!«
Herr Agame, von Natur aus lammfromm und eher als Fliegengewicht ausgestattet, sieht sich und Michele Gazelle schwer beleidigt, weshalb er ehrenhalber Widerworte wagt: »Du spinnst wohl, da lachen ja die Hühner! Also drossle doch bitte dein rotes Kehlchen.«
Tja … Gut gebrüllt Löwe, aber das Spatzenhirn, ‚türlich, denkt ja gar nicht dran: »Ich soll dir wohl Hammelbeine machen, du Piepmatz? Außerdem, was schwänzelt deine Vorgartenschnecke da die ganze Zeit um die dumme Kuh von den Heideasseln rum?!«
A-ha! Da liegt also der Hund begraben, reimt sich Herr Agame zusammen. Zu seinem Glück ist dies der Augenblick, da sich das andere Hornvieh von der gegnerischen Rockerbande einmischt: »Du hast wohl ne Meise!« schimpft Leonhard. »Meine Bunny kann schäkern, mit wem sie will. Also mach keine Zicken!«

Plötzlich, aber nur so kurz, wie du brauchst um ›pieps‹ zu sagen, ist’s mucksmäuschenstill in der Kellerbar! So still, dass man die Flöhe husten hören kann. Und während Wolfgang krebsrot anläuft, saugt Leonhard die Luft durch sein Gebiss, dass es zieht wie Hechtsuppe. Dann lassen die beiden die Katze aus dem Sack!
»Ich mach dich zur Schnecke, Pavianarsch!« – »Selber! Ich mach dich Flunder, da biste platt!« Und so geben sie ihrem Affen Zucker, bis die ganze Meute fuchsteufelswild wird. Das Ergebnis ist eine saumäßige Keilerei zwischen den ›Gemeinen Heideasseln‹ und den ›Märkischen Schädelsalamandern‹. Ei was für ein Gemetzel! Da wird ordentlich ausgeteilt und eingesteckt. Hier und da ist ein Hasenfuß zu beobachten, der eine Schwalbe macht oder unter den Billardtisch hechtet. Und ein paar Ratten sind dabei, die angesichts des sinkenden Schiffes lieber die Fliege machen, ehe sie Federn lassen oder vor die Hunde gehen.
Auch für Herrn Agame wird es allerhöchste Zeit, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sollen die Rocker-Racker doch ihr Hühnchen miteinander rupfen, da kräht kein Hahn nach. Denkt er und will sich flugs noch Michele Gazelle vom Tapet pflücken. Der Frechdachs von Schneckerich hat es unterdessen nicht dabei belassen, sich im Lächeln der Angebeteten zu sonnen, sondern hat Bunny derart vollgeschleimt, dass sie aneinander kleben wie Blattlauspipi auf Autolack. Nun gut, kommt sie halt mit. Klassischer Fall von Brautentführung. Doch halt! Das gewonnene Rennen, der Wetteinsatz! Dann war ja alles für die Katz! Ach, hol’s der Geier. Nur noch ein Katzensprung, und sie sind dem ›Fuchsbau‹ entkommen …

Puh, Schwein gehabt! Was für ein Sonntagsausflug! Herr Agame streicht sich die Knitter aus den Frackschößen und betrachtet das Schneckenpärchen in der Transportdose. Nicht schlecht Herr Specht! Ich schätze mal, schätzt er, schmunzelt und hält das Gesicht in den Regen, ich schätze mal, nicht nur diese beiden haben sich fabelhaft amüsiert. Um nicht zu sagen: tierisch.

Wort und Text: Mathias
 

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