Tussi

| Lesealter: ab 10 Jahre |

Schau an. Die da, tak tak tak, hat so dünne Absätze an den Stiefeletten, könnte glatt Blindenschrift ins Gehwegpflaster stanzen. Aber wahrscheinlich kann sie nicht ordentlich schreiben, sind ja meistens nicht so helle im Kopf wie die Haare oben drauf. Platinblond. Bitte buchstabiere ›Chihuahua‹. Bitte was? H – U – N – D. Ja, genau. So einen hat sie nämlich dabei, eine richtige Fußhupe. Möööp! Oh Entschuldigung, ich muss mir da was eingetreten haben. Chihuahuas sind die kleinste Hunderasse der Welt, bringen so um die 1.000 Gramm auf die Wage. Aber weit gefehlt, wer sie deswegen für das perfekte Schoßtier hält. Es sind unruhige, nervöse Geister.
Ähnlich quirlig und unentschieden ist auch die Luft an diesem Frühlingsabend, weder warm noch kalt, weder trocken noch feucht. Durch das trübe Licht signalleuchtet die Auslage eines Schaufensters, vor dem das blonde Mädel, tak tak tak, jetzt stehenbleibt und ausgiebig ein Hundesofa mit dekorativen Nähten aus falschen Diamanten bestaunt. Apropos Hund: Diesem glitzert ein weißgüldenes Band um den Hals, das sie passend zur Schnalle ihres Gürtels gewählt haben muss, welcher auf kurz nach halb Acht über dem Minirock hängt. Minirock im Leopardenmuster. Außerdem ist mir aufgefallen: Hund und Frauchen besitzen beide einen ähnlich tippelnden Laufstil. Gewiss aneinander geschult auf so manchem Schaufensterbummel. Der Gipfel aber ist eine pinke Seidenschleife am Schwanz des Chihuahuas. Ein Accessoire, wie man sagt, ›Ahsähsoar‹, ein Zubehör und Kinkerlitzchen, wie man verächtlich sagt, das unmissverständlich, wie man sagen muss, für eine unsägliche Einstellung steht, nämlich: Wenn schon geschmacklos, dann aber nur von der besten Marke und Güte. – Und das ist dann wieder was, also mit ein wenig Verständnis, wer das so durchzieht und sich leisten kann, was, sagen wir mal, fast schon meinen Respekt verlangt.
Und in diesem Fall ist ja nicht nur der Hund und sonstiges Zubehör mit dem Putz und Firlefanz des schlechten Geschmacks überzogen, sondern auch das Frauchen selbst. So sehr, dass alle natürliche Schönheit, jeder Funke herzlichen Gemüts und jede freie Gesichtsregung verborgen bleiben. Wer danach sucht, wird nirgends in die Tiefe dringen, dafür aber den Blickfängern auf der Oberfläche dieses Wesens in die Falle gehen. Der weckergroßen, neonfarbenen Armbanduhr, japanische Comic-Helden als Zeiger. Den Ohrringen in Form des Brandenburger Tors. Dem Halstuch mit dem Blümchenmuster und den Fransen. Baumelt total relaxed vom Hals, wird im Schaufenster jedoch wieder und wieder auf perfekten, lässigsten Sitz geprüft. Dazu wackelt die Frau wie ein Wellensittich auf Cola mit dem Köpfchen. Ihr Haar allerdings scheint von sämtlichen Flieh- und Trägheitskräften dieser Erde befreit. Betonhart vermittels Festiger und Spray wird die Frisur vermutlich einem Tornado standhalten. Diese Frau, tak tak tak, dieses Exemplar ist wirklich und wahrhaftig eine lebendig gewordene Barbiepuppe! Eine, die sich auf Partys (von denen sie jede Menge mitnimmt) von den Herrschaften (von denen sie auch eine Menge mitnimmt) am liebsten Drinks mit Strohhalm ausgeben lässt. Wegen der Lippenstiftränder am Glas. Die, das ist eine Tussi vor dem Herrn!
Tussis sind zwar irgendwie hübsch – es muss ja seinen Grund haben, dass sie den Funken der Jagd im Augenwald des andern Geschlechts entzünden – aber eben auch sehr eitle, eingebildete und oberflächliche Wesen, denen ein Mangel an Herz und Verstand nachgesagt wird. Wer Tussis nicht mal niedlich findet und auch keine Anerkennung für ihren Mut in Sachen Mode und Geschmack übrig hat, spricht eher von einer Tusse oder mehreren Tussen. Also ohne das niedliche ›i‹.
Hey, redest du über mich?! So redet man nicht über eine Dame in ihrem Beisein!
Dame? Mach mal halblang, Mädchen.

Merke 1: Tussis stehen gerne im Mittelpunkt.

Oha, jetzt kommt sie rüber. Das Schaufensterlicht zieht von ihr ab und ihr grelles Kostüm taucht, für die zehn geübten Laufstegschritte von dort bis her zu mir, in einen Weichzeichner aus satter, um den Bauch herum geschwollener Abendluft. In ihrer Art eine Erscheinung, die da auf mich zusteuert. Ein Bild mit Charakter. Ob ich sie bitte, mir einmal ›Charakter‹ zu buchstabieren?
Charakter ist das … so Innen … also was … was Männer nicht haben, wenn’s drauf ankommt. Also das hab ich von meiner Freundin Jaqueline aus dem Friseursalon. Mit der war ich neulich im Alexa auf Shoppingtour, weil da gab es diese Seepferdchen-Fußmatten im Angebot. Fürs Badezimmer. Und das stimmt ja meistens auch, so wie Jaqueline sagt. Erst sind die Männer gaaanz toll, richtig umwerfend. Alles so romaaaantisch und so! –
quietschiges Stimmchen mit einer leichten Süße im Abgang
– Und dann werden die Männer gemein … Wie wenn einer nen Knopf drückt und plötzlich steht ein ganz andrer Mensch vor dir. Krass ohne Charakter. Da können Jaqueline und ich ein Lied von singen, von diesen ewigen An-Aus-Beziehungen. Erst heißt es: O Baby, du bist so toll, ich will immer und ewig mit dir sein. Und dann wieder: Nein, das hast du falsch verstanden. Du nimmst das alles viel zu ernst. Und dann wieder: Schatz, kannst du mir verzeihen? Ich kauf dir auch was Schönes. Und das hält dann für eine Saison, wie ein trendiges Outfit, höchstens für eine Jahreszeit, dann bist du wieder out. – Hier schau mal, diese Bluse hab ich mir mit Jaqueline ausgesucht, vor zwei Wochen erst. Aber jetzt sagt sie, ich sehe darin aus wie vom letzten Jahr.
Ach, deshalb heißen modische Klamotten also ›Out-fit‹.
Meine Tussi überhört das und beginnt, mit einigem Gleichmut ihre Haarspitzen zu untersuchen.

Merke 2: Von Tussis heißt es, sie haben eine schöne Verpackung aber oft keinen Inhalt. Zugegeben, sie legen zwar Wert auf die Verpackung, das Outfit also, aber deswegen müssen sie noch nicht charakterlos sein. Vielleicht verstecken sie sich hinter der mehr oder weniger schönen Fassade. Vielleicht weil sie unsicher sind oder glauben, anders sein zu müssen als sie sind. Oder weil sie noch nicht wissen, wer sie eigentlich sind.

Gut, wechseln wir das Thema. Was ich schon immer mal wissen wollte, mit so spitzen Stöckelschuhen –
Hä? Das sind Highheels. Wer sagt denn heute noch Stöckelschuhe?!
Na, mit solchen Pfennigabsätzen jedenfalls, da geht doch die Wahrscheinlichkeit gegen Null, auf dem Fußweg in einen Hundehaufen zu latschen, oder?
Ich latsche nicht! Ich habe einen schönen Gang.
Äh … ja. Beinahe der Gang einer Ballerina, um es mal leichtfüßig zu formulieren.
Bitte, danke. Das ist ja das Mindeste. Überhaupt keine Etikette der Herr Wortikon!
Und dazu zaubert sie irgendwelches zickiges Getue mit ihren Händen in die Luft. Glitzerdelfine auf den Fingernägeln und tätowierte Einhörner, die ihr über die Schulter hopsen. »Wäff« macht das Chihuahua-Ding.
Über uns springt die Straßenbeleuchtung an. Schnell verströmt sich noch eine Wolke Flieder aus dem Vorgarten einer Seitenstraße. Und während die Nachtigall ihren Gesang anstimmt, nur unterbrochen vom Besitzer der Hundeboutique, der den Rollladen vorm Schaufenster herunter lässt, rückt meine Tussi vertraulich näher, indem sie mit einer süßen Wolke Patschuli-Parfüm gegen den Flieder andampft, und fragt:
Sag mal, stimmt das, dass Bäume in der Stadt besser wachsen, weil sie mehr Licht haben, von den Laternen und so?
Also … aber … Wieso? Wenn es denn UV-Licht wäre wie das Sonnenlicht, sonst sehe ich da keinen … also wirklich … Was ich jetzt stattdessen nur zu deutlich sehe, ist das Gesicht meines Gegenübers. Wobei, vielmehr, ich sehe etwas wie ein Gesicht, oder erahne es, unter einer dicken, vielfarbigen Paste aus Schminke.
Das nennt man Make Up. Manche Frauen haben eben nicht das Glück angeborener Schönheit, na und? Es kann nicht jede ungestylt aus dem Haus gehen.
Na ja, kann schon sein. Nur … bloß weil ich viele Farben im Malkasten habe, bedeutet das noch lange nicht, dass ein knallbuntes Bild automatisch schön ist.
Pff!
Schnippisch, mit einem Atemstrahl aus Zahnpflegekaugummi.

Merke 3: Tussis fühlen sich schnell ungerecht behandelt.

Okay, vielleicht war das ein bisschen gemein eben. Na schön, zeig doch mal, was alles zu einem ordentlichen Make Up dazu gehört. Ich sehe Wimperntusche –
Du meinst Mascara.
Macht schöne, lange Wimpern mit denen man hübsch klimpern kann. Dann Lidschatten und Lidstrich –
Kajal.
Betont die Augen und lässt sie größer wirken. Und da wäre noch diese seltsame Lippenfarbe mit dem Glanzeffekt.
Lipgloss.
Tja …
Und?
Noch was?
Das Rouge!
Ein leichtes Rot für frische, lebendige Wangen. Ist mir bekannt, aber ich bin farbenblind, tut mir leid.
O Gott du Aaarmer!
Ach was! Nur eine Rot-Grün-Schwäche.
Aber das hier siehst du?
Dabei verzieht sie rechts, von mir aus gesehen, den Mundwinkel.
Nein, was meinst du?
Den Beauty Spot! Meinen Schönheitsfleck.
Sie deutet auf einen Leberfleck auf ihrer linken Wange (von ihr aus gesehen), in der Nähe der Oberlippe.
Ist der etwa nicht echt?
Da sie abwinkt und sich zum Gehen wendet, lenke ich ein. Ja klar, logisch, einen echten Leberfleck würde eine echte Tussi selbstverständlich weg schminken. Verstehe. Aber gerne gebe ich zu, dass ich von alledem überhaupt keine Ahnung habe. Wie das alles heißt und was davon echt oder etwas wert ist. Betrifft auch die Klamotten, das Outfit, wollte ich sagen. Bisher lief jede stark geschminkte und gestylte Erscheinung bei mir unter ›aufgetakelt‹. Unterschiedslos. Hauptsache viel: viel Schminke, viel Glamour, viel Haut, viel Diva, viel Unechtes und sehr viel Gefallsucht.
Wenigstens ist bei mir fast alles echt. Da gibt’s echt viel Schlimmere, mit falschen Haarteilen, falschen Nasen, falschen Farbkombinationen, dem falschen Freund …
Schwups, hat sich mein Tusschen keck vor mir aufgebaut, präsentiert sich, die Hello Kitty-Tasche ums Handgelenk, das Handgelenk in die Taille geschmiegt, Po und Brust raus, streicht mit der andern Hand, die Hundeleine ums Handgelenk, den Minirock straff und macht ein Gesicht, als wären jetzt 1.001 Komplimente fällig. Was mir jedoch zuerst in den Sinn kommt, ist das Märchen von der Prinzessin auf der Erbse …
Prinzessin vielleicht. Die Erbse bist du!
Da lacht sie, und ich kann gar nicht sagen, ob das Lachen echt ist. Bin auch vom Schönheitsfleck irritiert, der um diesen lachenden Mund hüpft. Aber da reißt mich ein gar nicht mehr so quietschiges Stimmchen, eine Sirene wenn man’s genau nimmt, aus meinen Betrachtungen.
Wie siehst DU überhaupt aus?! Kann ja sein, dass wir Tussis ne kleine Macke haben mit dem teuren, schicken Zeug –
Schickschnack muss man sagen. Eine großzügige Einstellung zu Luxus und Klimbim. Hauptsache teuer und viel, weil viel hilft viel, was?
– Ey, du bist sooo … ! Guck dich mal selber an: Viel zu viel Bart, viel zu viel Dreck auf den Schuhen und den Brillengräsern, viel zu viel Gelb an den Fingern von den Zigaretten. Mann, das sieht total billig aus! Und dazu diese ausgebeulten Hosentaschen. Was ist denn da alles drin?
Nur das Wichtigste. Alles, was ein Mann braucht.
Zum Beispiel?
Vorne links Taschenmesser, Schlüsselbund, zwei Kronkorken, die ich anscheinend nicht auf die Straße werfen wollte, ein benutztes Taschentuch …
Iiiieh!
Feuerzeug und Taschenuhr vorne rechts. Gesäßtasche links das Portemonnaie, rechts Telefon.
Wozu’n die Taschenuhr? Hast doch ein Telefon.
Also die Uhr … die hatte ich schon … (Ist das ein ironischer Blick, mit welchem mich meine Tussi jetzt bedenkt?) … Gut, zugegeben, die Uhr ist ein nettes Accessoire.
Und das muss alles in die Hosentaschen? Sieht aus, als hättest du Handgranaten und ausgestopfte Nagetiere drin! Leg dir doch ein Herrentäschchen zu oder einen Jute-Beutel für deinen Kram.
Mein Blick fällt auf das gar niedliche und schier ausdruckslose Hello-Kitty-Gesicht ihrer Handtasche. Auch hier wieder, wie das Hundedings, mit rosa Schleife im Haar. Jute … Na jut, sag ich mir. Der Inhalt zählt. Da möchte ich im Gegenzug doch zu gern mal ihre Handtasche inspizieren. Darf ich? Du hast bestimmt einen Taschenspiegel dabei …
Hey! Man guckt einem Mädchen nicht einfach so in die Handtasche.
Ich bin aber neugierig. O Handtäschchen, du Mysterium weiblicher Logistik! Spieglein, Spieglein …
Als nächstes willst du in meinen Werkzeugkoffer zu Hause gucken, hm? Ich hab da einen Schraubenzieher mit Plüschgriff. Ja, und ich weiß auch schon, von meinem Werken-Lehrer, dass es eigentlich Schraubendreher und nicht -zieher heißt.
Erstaunlich. Was haben wir denn hier? Nagelfeile, Smartphone (ebenfalls in Pink, Schutzhülle mit Herzchen), Ladekabel, Taschentücher, Desinfektionsspray, Schlüsselanhänger, Schmerztabletten, Haarbürste, Kaugummi, Ramsch wie nicht funktionierende Feuerzeuge, Creme, ein Foto vom Wauwau, Sonnenbrille, Pflaster, eine Probepackung Parfüm, in wüster Anordnung alte Kassenzettel vom Shoppen und Kinokarten mit Telefonnummern von Verehrern, loses Wechselgeld und altes Kaugummipapier, eine Haarspange, alte Fahrkarten, Ersatzsonnenbrille und Ersatzkopfschmerztablette, Sicherheitsnadel, Superkleber (wofür?), ein Chip für den Einkaufswagen (ebenfalls lose und schwer auffindbar), Schlüsselbund mit Minitaschenlampe, Ministadtplan, Kopfhörer … Aber … nanu? Kein Taschenspiegel. Sollte eine Tussi nicht immer einen dabei haben?
Nö, wo lebst du denn? Nen Spiegel habe ich doch als App im Smartphone.
Und weiter mit klimpernden Mascara-Kajal-Äuglein und einem gezuckerten Sahnestimmchen:
Wenn du mir einen schicken kleinen Spiegel schenkst, geh ich gern mit dir einen Cocktail trinken. Heut Abend. Im Dunkeln kann man nähämlich sehen, dass meine Highheels leuchten. Bei jedem Schritt.
Ach Tussi, meine Tussi. Ich dachte, so Blinkeblinke-Zeug bekommen nur Hunde und kleine Kinder, damit sie nicht verloren gehen. Außerdem: Wer nämlich mit H –
Weiß ich. Aber ich sprech’s mit H. Mir doch egal!
Ach Tusschen, liebes Tusschen. Wusstest du, dass ›Tussi‹ eine Koseform des Namens Thusnelda ist? Ein schöner Name eigentlich, oder?
Was?! Das klingt voll oldschool nach Oma! Mein Opa, der konnte mit Nutella nicht so viel anfangen. Hat mich immer gefragt, ob ich ein Thusnelda-Brot möchte.
Aber Tussi kommt von Thusnelda.
Nein.
Doch.
Nein! Tussi kommt von den Amerikanern, die nach dem Krieg in Deutschland stationiert waren. Wenn ihnen so ein schönes, blondes Mädchen wie ich über den Weg lief, dann haben sie ihren Kameraden auf Englisch ›to see‹ zugerufen. Was soviel heißt wie ›Schau mal die an, die muss man gesehen haben‹. Echte Hingucker eben.
Tussi, or not Tussi, das ist hier die Frage. Ich halte diese Erklärung für reinsten Quatsch, aber:

Merke 4: Tussis müssen immer Recht haben. Unter allen Umständen.

Es gab da mal eine berühmte Thusnelda, sage ich, unterbrochen von der Nachtigall (bei denen nur die Männchen singen übrigens). Keine Ahnung, ob jene Thusnelda blond war, immerhin war sie die Tochter eines Germanen-Fürsten.
Eine Prinzessin?!
Arminius, ebenfalls ein Fürst der Germanen – und zwar genau der, der die Römer im Jahre 9 n. Chr. in der Varusschlacht vernichtend schlug, entführte und heiratete Thusnelda gegen den Willen ihres Vaters. Thusnelda war gerade schwanger geworden, da entriss sie wiederum ihr Vater dem Arminius.
Meine Güte, das arme Mädchen! So ein Hin und Her.
Genau. Arminius belagerte daraufhin die Burg des Vaters. Der aber machte mit den Römern gemeinsame Sache, ließ sich befreien und lieferte die eigene Tochter den Römern aus. Thusnelda wurde nach Italien verschleppt, wo sie einen Sohn zur Welt brachte und mit diesem als Siegestrophäe auf einem Triumphzug gezeigt wurde. Ihr Vater wohnte dem Schauspiel als Ehrengast bei.
Ogottogott! Wie gemein. Ich sag’s ja: Männer!
Ihr weiteres Schicksal verliert sich im Nebel der Geschichte. So wie die Rester des Frühlingsabends im Dunst der aufziehenden Nachtfeuchtigkeit.
Traurig. Klingt aber nicht nach dem Prototyp aller Tussis, deine Thusnelda.
Stimmt. Vielleicht ist eine Tussi ja eine Möchtegern-Thusnelda.
Na ich will nicht andauernd hin und her geschubst und auf irgendwelchen Siegesparaden ausgestellt werden! Prinzessin oder nicht.
Stimmt. Aber Tussis gibt es in allen Schichten und Ecken der Gesellschaft: Asi-Tussis, Schickeria-Tussis, Spießer-Tussi, Gothic-Tussi …
Ich blicke an mir herunter und kann gerade noch das Bein wegziehen. Der pink beschleifte kleinste Hund der Welt wollte mir doch tatsächlich auf den Schuh … !
Schön und gut, jaja. Aber sag mal, du hältst dich doch für so schlau, was ist denn das richtige Wort für eine männliche Tussi?
Du meinst …
Ja. Männer, die nur auf ihr Äußeres achten, gerne im Mittelpunkt stehen, immer Recht haben müssen und und und. Na?
Vielleicht … Fuzzi? … oder Fatzke …?
Meine Tussi starrt mich weiter erwartungsvoll aus großen, bunten Augen an.
… Lackaffe?
Schnippisch, aber mit einigem Ernst bohrt sie mir ihren Zeigefinger-Glitzerfingernagel in die Brust:
Macho! Alle wissen angeblich, was eine Tussi ist und wie wir sind, aber für Männer gibt’s das nicht. Das ist eine Macho-Sprache!

Merke 5: Tussis haben nicht nur hohen Unterhaltungswert. Eine Begegnung kann sich lohnen.

Sag mal, wie heißt du eigentlich?
Nelli. Wenn ich unterschreibe, mache ich beim i-Punkt immer ein Herzchen, willste mal sehen?
Nett, dich kennen zu lernen, Nelli.
Siehste. Wer war denn hier eingebildet von uns beiden?
Zicke, entgegne ich und freue mich über das offene, fröhliche Lachen, das mir antwortet. Jetzt, im schwindenden Licht des Abends und im Hellerwerden unserer Bekanntschaft eine irgendwie süße Zicke. Eine Zimtzicke.

Wort und Text: Mathias
 

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