Larifari

| Lesealter: ab 6 Jahre |

Antonia soll Hausaufgaben machen: eine Seite Aufsatz über ein Ferienerlebnis, aber so richtig Lust hat sie keine. Es ist ja auch immer dasselbe – Ferienerlebnisse … Fällt denn den Lehrern nichts anderes ein?! Man könnte doch mal einen Aufsatz über ›Wenn ich drei Wünsche frei hätte …‹ schreiben, oder was passieren würde, wenn dieser Darth Vader Bundeskanzler wäre. Aber nein, Ferienerlebnisse …

So sitzt Antonia nun hinter ihrem Schreibtisch und knabbert am Radiergummi. Soll sie über die Paddeltour schreiben, mit Picknick auf einer Insel mitten im See, oder über den Waschbär und die Blindschleiche auf dem Zeltplatz? Über die Bergwanderung in Kroatien, bei der Papa einen Wasserfall runter gehüpft ist? Oder darüber, wie sie mit Oma am Strand in der Türkei eine Sonnenbrille kaufen wollte?
Während Antonia nachdenkt und grübelt und sich ärgert, kann sie zusehen, wie die Sekunden durch ihre Finger rinnen. Ab und zu fließen ein paar Worte aus ihrem Füller auf das Papier, blau und zäh, die kratzen und quietschen wie ihr Schreibtischstuhl, wenn sie sich mal wieder entnervt zurück lehnt. Ab und zu hört sie draußen dicke, stachelige Kastanien auf den Fußweg plumpsen, oder auf ein Auto, und dabei wünscht Antonia sich, ihr Ferien-Aufsatz würde ganz genauso rund aus einer Verpackung springen wie die Kastanien mit ihrer fein gezeichneten Maserung. Ab und zu sieht sie Mama an ihrer Zimmertür vorbei huschen. Mama singt im Elternchor und bereitet sich auf die Probe heute Abend vor.

Larifari | Illustration © Caterina Magro


»Schatz, ich muss bald los. Zeig mal her, deine Hausaufgaben.« Und bevor Antonia etwas sagen kann, hat Mama sich ihr Heft geschnappt und liest laut vor:

»–›Im Sommer bin ich über den Strand gepaddelt. Papa, die Blindschleiche, machte mitten in einem Wasserfall Picknick. Oma wollte den Zeltplatz runter hüpfen und machte dabei wie ein Frosch kroa-kroa! Und der Waschbär mit der Sonnenbrille hat mir eine Insel aus Kastanien gekauft.‹–«
Mama muss kurz lachen, hell und klar wie ein Sopran. Sie singt nämlich den Sopran, die höchste Stimme im Chor. Aber dann wird sie ernst: »Antonia, was ist das denn für Quatsch? Warst du wieder nicht bei der Sache?«
Antonia nickt und verschluckt beinahe ein Stück Radiergummi, das sie aus Versehen abgebissen hat.
»Du sollst dich doch konzentrieren. Wie oft habe ich das schon gesagt. Seine Hausaufgaben macht man nicht so Larifari, sonst kommt nix dabei raus. Oder eben dummer Unsinn, so wie das hier.« Und dann schwirrt Mama wieder ab, lalala, eine Melodie auf den Lippen, die ein gewisser Herr Bach vor ein paar Hundert Jahren für den Chor in der Kirche geschrieben hat, und die tatsächlich wie ein klares Bächlein klingt, das munter über Steine hüpft.

Tja, aber das ist er wohl, Antonias Aufsatz: nichts Halbes und nichts Ganzes, Schnulli, ohne nachzudenken hingeschmiert, Wischiwaschi, Kinkerlitzchen, oder auch leeres Gerede: La-ri-fa-ri. Aneinandergereihte Wörter, die einfach keinen Sinn ergeben.
Kann man ja auch mal machen, denkt sich Antonia. Nur nicht gerade in einem Schulaufsatz, den der Lehrer vielleicht benoten möchte. Andererseits gibt es sogar Spezialisten, Larifari-Experten, die minutenlang reden können, ohne dabei irgendwas zu sagen, das Hand und Fuß hätte. Politiker zum Beispiel, oder Moderatoren im Radio und im Fernsehen. Die können das ganz vorzüglich, sie spülen uns ein Bächlein schön warmer Luft ins eine Ohr, und zum andern Ohr kommt dann Schmalz heraus, das wir uns auf die Stulle schmieren können, das aber nach gar nichts schmeckt. Nach absolut nichts. Dermaßen nichts, dass wir nach dem ersten Bissen vergessen haben, was wir da mampfen. Oder Lukas aus der 5c, der ist auch so ein Experte, wenn er mal wieder erzählt, wie er von seinem großen Cousin gehört hat, wie der Bruder von dessen Vater in einem Weltraum-Computerspiel voll so ›wuuusch!‹ gemacht hat, mit dem Fuß, und dann ›bäng!‹ mit der Laserpistole auf die Clonkrieger, und ›kracks!‹, mitten durch! Total krass Larifari … Dieser Darth Vader hingegen, der konnte anscheinend nur einen Satz sagen, ›Lukas, ich bin dein Vater‹ oder so, aber den dafür andauernd.
Doch das ist irgendwie spannend, denkt Antonia, während draußen eine Kastanie ›kracks!‹ macht und aufplatzt wie das Springkraut im Sommer am Seeufer. Wusste denn der Lukas nicht, wer sein Vater ist? Warum nicht? Und ist er deswegen jetzt sauer auf Darth Vader? Wie dramatisch! Das klingt wenigstens ein bisschen interessant, findet Antonia. Larifari ist ja nicht nur leeres Gelaber, Larifari ist auch, wenn jemand etwas macht (oder machen muss), für das er sich eigentlich gar nicht recht interessiert. Logisch, dass man hier nicht bei der Sache ist, und was dabei herauskommt, ist halbherzig, unentschieden, ohne den nötigen Ernst verzapft. Ungefähr so: ›Ach Lukas, übrigens, ich bin der Bruder deines Onkels.‹ – ›Onkel Obi?‹ – ›Nee, der andere Bruder, aber is egal …‹
Ob nun hohles Geschwätz oder Unlust, Schusseligkeit oder Wischiwaschi – Larifari ist in jedem Fall Unsinn. Etwas, das so viel wert ist wie das Quietschen von Antonias Schreibtischstuhl. »La-la-laaaa, la la liiii«, hört sie Mama im Flur trällern.

Larifari | Illustration © Caterina Magro


Antonia muss an Josi, die kleine Schwester ihrer Schulfreundin Johanna denken. Ein Wildpferdchen mit blonder Mähne und Stupsnase, und soooo süüüüß. Josi sagt auch total oft ›La-la-laaaa‹ und ›Blablablü‹ oder ›Ri-ra-ralle-rall‹. Und das wiederum ist genauer betrachtet gar kein Unsinn, weil die Kleine schließlich das Sprechen lernen will. Mit ihrem lustigen Singsang üben Kleinkinder Töne und Wörter. Ganz ähnlich eigentlich, wie wenn wir Größeren ein Lied auswendig lernen und die Töne immer wieder wiederholen. So wie Mama im Elternchor. In Italien dachte man sich schon vor langer Zeit, nochmal ein paar Hundert Jahre vor dem Herrn Bach, für die verschiedenen Töne kurze Namen aus. Silben, die sich gut singen und aneinanderreihen lassen, zum Beispiel re, mi, fa, sol und la. Zwar ergibt der Gesang dann keinen Sinn – »la – re – fa – re«, dafür lassen sich aber die Melodie und die zugehörigen Noten umso besser merken. Und weil das richtig praktisch war und italienische Musik voll in Mode, kam ›la – re – fa – re‹ bald auch nach Deutschland.

Was ulkig ist: la, re und fa stehen für die Töne a, d und f und ergeben einen Moll-Klang. ›La – re – fa – re‹ hört sich dann ungefähr so an:

 

Schon irgendwie gelangweilt, oder? Ein bisschen dunkel und trübe. Vielleicht auch lustlos? Jedenfalls kann man sich gut vorstellen, wie aus den ’sinnlosen‘ Tonsilben und der ‚lustlosen‘ Melodie am Ende das Larifari wurde, wie wir es heute kennen und benutzen.

Ob Mama das weiß? »Tonia, ich gehe jetzt zur Probe«, sagt sie. »Nachher helfe ich dir bei deinen Hausaufgaben.« Und dann landet noch ein herrlich nach Mama duftender Kuss auf ihrer Stirn.
»La – re – fa – re«, murmelt Antonia, aber da fällt die Tür mit einem ›wuuusch!‹ schon ins Schloss. Ob sie statt eines Aufsatzes über Ferienerlebnisse ein kleines Lied schreiben darf? Darauf hätte sie jetzt wirklich Lust!


Wort: vorgeschlagen von Larissa aus Berlin, 9 Jahre, Lieblingswort „chillen“
Text: Mathias
Illustrationen: Cate
 

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